DURP eZine

 Interview mit Renald Mienert vom DURP - eZine from the progressive ocean, 1999
Apogee: Arne auf Solopfaden

Warum hast Du eigentlich Apogee neben versus X ins Leben gerufen? Musikalisch liegen doch beide Projekte ziemlich eng beieinander.

Apogee erlaubt mir meine Ideen in ungefilterter Form zu verarbeiten und ist somit quasi ein direktes Abbild meiner "musikalischen Seele". Wegen der gleichen Stimme sind die Parallelen zu versus X natürlich offensichtlich, in bezug auf Themen und Arrangements bestehen aber deutliche Unterschiede.
Bei einer Band mit gleichberechtigten Mitspielern sollte man immer bestrebt sein Kompromisse zwischen den einzelnen Positionen zu finden damit sich alle Beteiligten im Endresultat wiederfinden. Dieses Vorgehen bedingt oft langwierige Diskussionen. Dafür ist das Endergebnis in den meisten Fällen dichter und ausgefeilter als bei einem Solomusiker da viele Detailverbesserungen durch die einzelnen Musiker vorgenommen werden.
Es dauert allerdings wie gesagt sehr lange bis sich das fertige Stück herauskristallisiert und jeder am Kompositionsprozeß Beteiligte hat diverse Zugeständnisse machen müssen. Deshalb sehe ich Apogee als ein ideales Parallelprojekt zu versus X bei dem ich völlig unabhängig und ohne jegliche Vorgaben von Außen meine Ideen realisieren kann.
Abgesehen davon wäre ein doppeltes Pensum mit versus X rein vom Zeitaufwand undenkbar. Solo kann man naturgemäß wesentlich schneller und effizienter arbeiten. Diese beiden Möglichkeiten musikalische Entfaltung gleichzeitig zu haben empfinde ich als großes Privileg.

Zwischenzeitlich hast Du dich ja mal nach einem anderen Label umgesehen, bist dann aber doch bei Musea geblieben.

Vor etwa einem Jahr gab ich Musea ein Demo auf dem zum Teil andere Stücke enthalten waren als später auf Sisyphos herausgekommen sind. Ich hatte wohl einen schlechten Tag bei den Musea Leuten erwischt denn ich erhielt nur eine kurze Nachricht ohne weitere Begründung, Musea hätte kein Interesse.
Ich war natürlich erst mal ziemlich niedergeschmettert und beschloß mich nach einem anderen Label umzusehen. Kurz darauf bekam ich mehrere Info/Interview Anfragen von anderen Musea Mitarbeitern die versus X "Disturbance" als eine der besten Alben der letzten Zeit bezeichneten.
Etwas verwundert schrieb ich ein P.S. an Philippe Arnaud wie denn diese Einschätzung mit der Ablehnung des neuen Apogee Materials zusammengehen könne. Daraufhin war er sehr verwundert, besorgte sich das Demo und befand, zusammen mit Bertrand Pourcheron und Philippe Gnana, das zwei der Stücke ihrer Ansicht nach auf jeden Fall eine Musea Veröffentlichung rechtfertigen, die zwei anderen Stücke jedoch stark abfallen würden und daß dies wahrscheinlich auch der Grund für die vorhergehende Ablehnung seitens anderer Musea Mitglieder gewesen sei.
Ich konnte diese Differenzierung zwar nur teilweise nachvollziehen aber mit der mir dann offerierten Alternative sehr gut leben. Bertrand schlug vor die Stücke welche nicht so gut ankamen für die CD durch andere ältere Stücke zu ersetzen. Da ich zu dieser Zeit gerade dabei war das Stück "Sisyphos" aufzunehmen warteten wir ab bis es fertig war und verwendeten dann zusätzlich noch zwei ältere kürzere Stücke.
Ich habe das neuerliche Angebot von Musea natürlich gerne angenommen da Musea meines Wissens das größte Prog Speziallabel ist und über einen internationalen Vertrieb verfügt. Es ist schon nett wenn man Feedback aus entlegenen Ländern bekommt.
Die Stücke die nun nicht auf Sisyphos erschienen sind werde ich bei Gelegenheit in sehr kleiner Auflage auf recordable CD´s für die die-hard Fans herausbringen wie schon die versus X live CD im Februar 98 (direkt to 2-track, ohne Nachbearbeitung). Diese CD´s und diverses älteres Material sind direkt von mir erhältlich. Näheres steht in den Apogee und versus X Websites.

Für ein Prog-Album den Titel "Sisyphos" zu wählen, könnte man ja schon symptomatisch nehmen. Man rackert sich ab, wird aber von einer kleinen Szene akzeptiert.

Das Stück "Sisyphos" beschreibt die nie endende und beschwerliche aber dennoch hoch faszinierende Suche nach der ultimativen wissenschaftlichen Erkenntnis, vor allem hinsichtlich der Bestrebungen die großen Theorien zur Entstehung des Universums zu vereinheitlichen.
In Bezug auf mein Werk steckt der Sisyphos sicher in der gnadenlosen Selektion von brauchbaren Themen, Melodien und Harmonien, indem man immer nur die besten Ideen verwendet und immer wieder bereits ausgearbeitete Arrangements verwirft, substituiert oder neu strukturiert auf der Suche nach dem optimalen musikalischen Resultat.

Oder sind die Progger an ihrer Situation vielleicht auch selbst Schuld? Vielleicht ist man ja gar nicht so progressiv, wie man sich gerne sieht?

Die Prog Szene krankt meiner Ansicht nach eindeutig an mangelnder Qualität und Originalität vor allem in kompositorischer Hinsicht. Bei den meisten neuen Prog Produktionen habe ich sehr schnell den Eindruck daß die verwendeten Stilmittel zu offensichtlich und althergebracht sind. Ich lasse mich gerne überraschen aber das schaffen nur sehr wenige neue Bands.
"Nukleus" von Anekdoten und "Epilog" von Anglagaard" finde ich z.B hervorragend. Yes, Gentle Giant, Jethro Tull, Genesis, King Crimson sind schon zurecht Ikonen des Prog geworden denn die Qualität und Dichte des besten Materials dieser Bands ist bis heute unerreicht.
Insgesamt würde ich sagen ist die Prog Szene viel zu selbstverliebt und hat zu viele Scheuklappen in wirklich neue und aufregende Bereiche vorzustoßen. Dies ist im übrigen in der Literatur sehr ähnlich wenn man den Science Fiction Bereich anschaut. Dort gibt es auch jede Menge Schund und nur einige wenige Perlen, z.B. Stanislaw Lem, die in der Flut von Veröffentlichungen untergehen.

Auf dem aktuellen Album werden drei Longtrax von zwei kürzeren Stücke umrahmt. Das klingt nach Absicht...

Nachdem ich mich mit Musea auf die Trackliste geeinigt hatte wollte ich ursprünglich die kurzen Stücke zwischen die drei langen plazieren. Bertrand und Philippe machten dann den Vorschlag die langen Stücke einzurahmen was ich nach kurzem Nachdenken als sehr reizvoll empfand, da es recht außergewöhnlich ist. Du weißt ja, ich schwimme gerne gegen den Strom.

Du arbeitest mit einem Drumcomputer, dafür kriegt ein Progger ordentlich Schelte....

Natürlich würde ich, wie wahrscheinlich jeder Komponist im Prog Bereich, ein echtes Schlagzeug vorziehen sofern ich die Wahl hätte. Ein echtes Schlagzeug besitzt in den meisten musikalischen Situationen mehr Nuancen und spielerische Details die sich auch durch gute Programmierung nicht nachstellen lassen.
Leider bin ich als Nichtprofi nicht in der Lage genug Zeit aufzuwenden um noch eine zweite Band zusammenzustellen um mein Apogee Material live zu präsentieren und aufzunehmen. Zudem bin ich überzeugt, daß mit guter Programmierung und guten Schlagzeug Samples (Sounds) durchaus sehr gute Resultate zu erzielen sind, die von den meisten Laien nicht von einem echten Drumset zu unterscheiden sind. Selbst ich muß bei manchen Produktionen erst mal genau hinhören ob es sich um ein echtes oder programmiertes Schlagzeug handelt.
Ein sehr "straight" programmierter Drumcomputer ist heute schon fast nicht mehr als Maschine identifizierbar. Die Ablehnung von programmierten Drums ist bei den meisten Hörern eher ein psychologischer Effekt. Sehr schön zu sehen ist dies wenn man den hartgesottenen Gegnern von Sample Drums mal die Aufgabe gibt herauszuhören ob die Drums echt sind oder nicht und diese dann doch etwas ins Schleudern kommen.
Für meine Begriffe ist die Qualität der musikalischen Komposition ohnehin wesentlich wichtiger als die Frage ob etwas gespielt oder programmiert ist. Die Amerikanische Band Magellan z.B. haben auf ihren ersten 2 CDs Sample Drums verwendet und auf der 3. CD dann einen echten Drummer. Der Gesamtsound ist nun sicher realistischer als vorher aber ich finde die ersten beiden Produktionen dennoch besser da dort das musikalische Material überzeugender ist und dies für mein Empfinden einfach schwerer wiegt.
Die diesbezügliche Empfindlichkeiten und Vorlieben sind natürlich bei jedem Hörer unterschiedlich.

Welche Priorität haben die Texte bei Apogee?

Was mich bezüglich Gesang am meisten interessiert, ist die stimmliche Artikulation, da dieses Element die direkteste zwischenmenschliche Kommunikationsmöglichkeit darstellt. Insofern ist der Inhalt der mit den Texten vermittelt wird nicht so extrem wichtig.
Ein wichtiges Ausdrucksmittel sind allerdings textliche Assoziationen kombiniert mit musikalischen Strukturen. Ian Anderson von Yes hat es bei Close to the Edge z. B. hervorragend verstanden lose textliche Assoziationen in sehr poetische Lyrik zu verschmelzen die viel emotionale Qualität aber nicht unbedingt viel konkreten Inhalt vermittelt.
Im übrigen mag ich es nicht besonders wenn allzu konkrete "Messages" in Songtexten vermittelt werden. Ich spinne meist ebenso lose Assoziationen um ein Hauptthema in denen dann durchaus Aussagen und Standpunkte enthalten sind, allerdings in stark verschlüsselter und poetisierte Form, die den geneigten Hörer zu allerlei Interpretationen einlädt.
Meine Texte sind relativ lang da ich häufige musikalische Wiederholungen nicht besonders mag und mich von guter progressiver Musik am liebsten häufig überraschen lasse. Es gibt für mich nichts schlimmeres als an jeder beliebigen Stelle im Song schon beim ersten immer gleich zu ahnen wie es weitergehen wird. Dies bedingt naturgemäß relativ lange Texte, abhängig vom Verhältnis von instrumentalem zu Songmaterial.

Musea als Label agiert ja immerhin weltweit. Wie sieht es denn so mit dem Feedback aus?

Aus allen Ländern ist natürlich stark übertrieben aber ich habe vornehmlich über das Internet schon Reaktionen und Korrespondenz aus entlegenen Ländern erhalten, wie z.B. Mexiko, Argentinien, USA, Kanada.
Das meiste Feedback kommt aus Frankreich, Holland und Deutschland. Vor kurzem habe ich zwei "Playlists" von Radiosendungen aus Holland und Kanada bekommen. Darin wurden je eines der 20 Minuten Stücke von Sisyphos in voller Länge gespielt, was mich sehr gefreut hat.

Du hast dich ja auch musiktheoretisch mit Prog, speziell mit dem Mythos der langen Nummer, auseinandergesetzt. Und du gehst auch gleich daran, deine Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen.

Aus meiner langjährigen Hörerfahrung habe ich aus den für meinen Geschmack besten Prog Stücken versucht einige allgemeingültige Prinzipien herauszukristallisieren, die ein hervorragendes Werk auszeichnen (siehe mein Essay über Prog)
Trotz dieser Erkenntnisse kann ich im Vornherein nie genau sagen in welche Richtung sich eine meiner Kompositionen entwickeln wird. Der stärkste Einflußfaktor ist hier das musikalische Ideenmaterial welches zur Verfügung steht. Dieses bestimmt die potentiellen Möglichkeiten bezüglich Arrangement und musikalischer Ausarbeitung eines Stückes wesentlich. Daher kann ich im allgemeinen erst einige Zeit nach Fertigstellung eines neuen Stückes beurteilen wie nahe ich meinem musikalischen Ideal gekommen bin.
Man wird nämlich stark "Betriebsblind" während der Realisierung eines solchen großen Projekts, so daß es einiger Zeit bedarf um eine relativ unbeeinträchtigte Selbstbeurteilung zu wagen.
Die meisten großen Komponisten und Musiker sind sich zum Zeitpunkt der Entstehung selbst nicht bewußt gewesen daß sie gerade ein epochales Werk geschaffen hatten. Dazu wird es erst durch Aufnahme durch das Publikum. Als Komponist ist man selten absolut zufrieden mit dem Ergebnis und das ist auch gut so denn mit völliger Zufriedenheit fehlt der Antrieb für weitere Experimente und Perfektionierung.

Du hast vorhin den polnischen Science Fiction Autor Lem erwähnt. Sicher mag er weit über dem Durchschnitt liegen, aber Werke wie "Summa Technologia" sind ja nun wirklich nur noch für einen Bruchteil der Leser verständlich. Wo ist aber dann der Sinn von Kunst, wenn sie keiner mehr versteht?

Damit spricht Du ein sehr grundlegendes Problem der Kunst im Allgemeinen an. Die "Summa Technologiae" von Stanislaw Lem z.B. ist bestimmt in erster Linie für Leute geschrieben worden, die bereits über ein einschlägiges naturwissenschaftliches Grundwissen verfügen.
Ich für meinen Teil habe Chemie studiert und kenne daher viele der dort geschilderten Zusammenhänge schon vom Studium her im Ansätzen. Für jemanden der dies nicht besitzt ist solches Material sicher nur schwer zugänglich.
Auf der anderen Seite ist genau dies auch im Prog der Fall. Die Prog Gemeinde grenzt sich doch genau dadurch von der breiten Mainstream-Masse ab, daß sie eine gewisse Vorbildung bezüglich komplexe Strukturen, schräge Takte und Harmonien, etc. zu besitzen glaubt.
Auf Grundlage einer solchen erweiterten Basis sind dann wesentlich weitergehende musikalische Exkursionen möglich, die allerdings mit steigendem Schwierigkeitsgrad nur von einem immer kleineren Hörerkreis geschätzt werden. Von diesen dann allerdings häufig um so fanatischer.
Und genau dies ist doch der Anspruch welchem die Prog Musik gerecht werden möchte, geht man davon aus, daß der Terminus "progressiv" wörtlich gemeint ist. Eine Avantgarde ist für meine Begriffe sehr wichtig für die gesamte musikalische Entwicklung auch des Mainstream, denn allmählich sickern Elemente die zunächst durch die Avantgardisten ausgelotet und etabliert wurden, auch in die populäre Musik ein und gehen darin auf.
Das theoretische Werk von Lem, vor allem "Summa Technologiae" ist für mich eines der wichtigsten Einflüsse überhaupt. In seiner typischen, sehr humorvollen Art geht er von technologischen und erkenntnistheoretischen Grundprinzipien aus und denkt mögliche Entwicklungen durch, macht aber dann nicht Halt und erkundet vor allem die Konsequenzen derartiger Entwicklungen sowohl in technologischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht.
Auf diese Art hat er bereits in den 60ger Jahren die Konsequenzen des "Cyberspace" durchdacht, damals noch eine sehr utopische Möglichkeit die technologisch noch in weiter Ferne lag. Eine derartige Vorgehensweise führt automatisch zu philosophischen Exkursionen verschiedener Art in denen Lem sehr ausschweifend verschiedenste Themenbereiche anschneidet.
Viel von dem was Lem an philosophischen Ansätzen dort entwickelt hat, hat mein eigenes Denken stark beeinflußt und wird in vielen meiner Texte reflektiert. Auf der anderen Seite sehe ich durchaus die Wichtigkeit der Vermittlung zwischen Avantgarde und Mainstream.
Musikalisch ist die z.B. Genesis oder Jethro Tull hervorragend gelungen einerseits sehr komplexes musikalisches Material zu komponieren, es aber andererseits in einer Art zu tun, so daß auch ein nicht eingeweihter Hörer genug Ansatzpunkte findet um in die Musik "hereinzufinden". Die besten Werke aus den 70gern sind sowohl musikalisch sehr anspruchsvoll und aufregend als auch sehr unterhaltsam zu hören. Dies ist auch mein angestrebtes Ideal.
Ich sehe mich irgendwo im Niemandsland zwischen Etablierten Prog Mustern wie die frühen Jethro Tull, Genesis, Yes, von mir aus auch Marillion, und eher avantgardistischen Gruppen wie Univers Zero, Present, 5UUs, etc. Musikalisch gefallen mir meist die Gruppen diese Übergangsbereichs am besten wie Gentle Giant, King Crimson, Anekdoten, Anglagaard und die komplizierteren Sachen der Prog Klassiker.
Ich würde mir wünschen, daß sich alle diese musikalischen Gruppierungen, statt sich abzuschotten, in einem konstruktiven musikalischen Dialog befänden.